Was Gesellschaftsspiele anbelangt war ich lange Zeit der Überzeugung, nicht mehr überrascht werden zu können. Ich glaubte, alle Varianten gesehen und alle Mechaniken kennengelernt zu haben. Zwar wurde immer mal wieder eine neue Spielidee entwickelt oder Altbekanntes in ein neues Setting transponiert, doch die wahre Innovationskraft schien erschöpft.
Dann kam Time Stories und räumte gründlich mit meinen Vorurteilen auf. Es vereinte Elemente der klassischen Brettspiele mit der erzählerischen Perspektive von Rollenspielen und entpuppte sich als meisterhafte Symbiose beider Welten. Es klingt abgedroschen, doch meine erste Partie kam einer Offenbarung gleich. Es kam mir vor, als wäre ich mitten in ein spannendes Buch geraten, dessen Ausgang ich durch meine Entscheidungen beeinflussen konnte. So ehrliche Aufregung und so tiefe Immersion hatte ich nie zuvor beim Spielen erlebt.
Aber von Beginn an.
Time Stories ist ein kooperatives (Brett-) Spiel, bei dem vier (bestenfalls furchtlose) Abenteurer gemeinsam ins Unbekannte aufbrechen. Unbekannte ist hier tatsächlich das richtige Wort, weil man nach dem Lesen der kurzen Spielanleitung keinen Schimmer hat, worum es eigentlich geht. Das erfährt man erst im Laufe des Spiels. Hier muss ich erneut den Buchvergleich bemühen, weil man schon nach kurzer Zeit so tief in die Geschichte eintaucht, dass man alles um einen herum vergisst.
Ehe man sich versieht, ist man dem düsteren Geheimnis einer Nervenheilanstalt im Jahr 1921 auf der Spur. Feinde, Täuschungsmanöver, Rätsel, Fallen und Hinweise reihen sich unvorhersehbar aneinander. Wer die Augen nicht ständig offen hält, verpasst womöglich den entscheidenden Hinweis für die Auflösung der nächsten Prüfung und ist zum Scheitern verurteilt. Zu allem Überfluss hat man für die Aufdeckung nur eine begrenzte Anzahl an Aktionen Zeit.
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Time Stories besticht durch einfache Regeln und verlegt den Fokus aufs Zwischenmenschliche. Entscheidungen werden gemeinsam getroffen, Rätsel gemeinsam gelöst und Feinde gemeinsam bekämpft. Kurz gesagt: Man gewinnt oder verliert gemeinsam. Kommunikation ist unerlässlich, um alle Herausforderungen zu meistern. Davon ganz abgesehen macht es auch einfach mehr Spaß, zusammen auf die Reise zu gehen und in die Geschichte einzutauchen.
Die Story ist mitreißend und das Artwork sucht seinesgleichen. In dem Spiel steckt so viel Liebe zum Detail und so ungeahnte Raffinesse, dass ich unbewusst ins Schwärmen gerate. Alles ist bis ins Detail durchdacht, liebevoll gestaltet und grandios inszeniert. Einzig der Spielfluss kann stellenweise etwas leiden, weil manche Rätsel und knifflige Entscheidungen eine Menge Zeit erfordern. Dafür sind die Auflösungen umso befriedigender und lassen einen freudestrahlend zurück.
Doch das einzigartige Spielkonzept hat auch einen Haken, den ich euch nicht vorenthalten kann. Die größten Stärken von Time Stories sind die Geschichte und die Geheimnisse. Leider lassen sich Geheimnisse nur ein einziges Mal aufdecken und Geschichten nur einmal ohne Vorwissen erleben. Ihr kennt dieses Problem vielleicht von Büchern, Filmen oder Serien. Nie wieder ist der Zauber so groß wie beim ersten Mal. Eben aus diesem Grund hat Time Stories nahezu keinen Wiederspielwert.
Um dieser Problematik entgegenzuwirken, haben die Entwickler seit Veröffentlichung des Grundspiels neun weitere Geschichten veröffentlicht. Fünf davon habe ich gespielt und bin von der anhaltenden Qualität überzeugt. Zwar reicht für mich keine Geschichte an die des Grundspiels heran, aber enttäuscht wurde ich nie. Einzig der finanzielle Aspekt ist hier meiner Meinung nach zu bedenken. Ich für meinen Teil halte die Preise in Relation zum Spielspaß für angemessen.
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Kommen wir zum Fazit:
Name: Time Stories
Typ: Kooperativ
Story&Thematik: 6
Artwork&Material: 6
Spielfluss: 3
Wiederspielbarkeit: 1
Interaktion: 6
Gesamt: 22 von 30
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